Foto: Serge Kutuzov, unplash.com

Kampf um die Deutungshoheit über nachhaltige Mobilität

Große Töne ist man von Autobauern gewohnt. Wie oft haben sie schon das Rad neu erfunden, nur um letztlich das Prinzip „Auto“ weiter am Leben zu halten, ohne das Vehikel und seine Rolle in unserer Gesellschaft grundlegend zu überdenken. Im gleichen Duktus kündigt sich nun auch die IAA in München an. Erst vor wenigen Tagen schrieb der Verband der Automobilindustrie (VDA) großspurig: „Die IAA soll zur international führenden Plattform für die Mobilität der Zukunft werden.“ Und weiter: „Im Mittelpunkt stehen Automobile mit faszinierender Technologie und nachhaltige Mobilität, intelligente Verkehrslösungen und Dialogformate.“ 1

Der BUND Naturschutz (BN) hat die Internetpräsenz der einschlägigen Autobauer mit Blick auf nachhaltige Mobilität und Mobilität der Zukunft unter die Lupe genommen und zeigt schon jetzt, was auf München zukommt.

„München sollte sich nicht täuschen lassen. Der Wolf lächelt nur, um die Zähne zu zeigen. Der VDA redet zwar von nachhaltiger Mobilität, doch diese Nachhaltigkeit unterscheidet sich grundsätzlich von dem, was Verkehrspolitiker und der BUND Naturschutz unter Nachhaltigkeit verstehen. Nicht umsonst stehen in der VDA Pressemeldung vom 15. Juni Automobile im Mittelpunkt. Fußgänger und Radfahrer kommen in der Vorstellungswelt des VDA bei nachhaltiger Mobilität nicht vor. Private Autos sind aber kein Beitrag zu einer nachhaltigen Mobilität. Sie sind kein Beitrag zur Lösung, sondern Hauptverursacher des Problems. Die Deutungshoheit über nachhaltige Mobilität darf München nicht einem Autolobby-Verband überlassen.“, so Martin Hänsel, stellvertretender Geschäftsführer des BN in München.

Wie sehr die Automobilkonzerne an der Stärkung der Rolle des eigenen Autos arbeiten, zeigen beispielhafte drei Zitate. So schreibt BMW „Wir stellen uns bei der BMW Group die Frage, wie wir ein Fahrzeug erschaffen, welches für unsere Kunden zu ihrem Lieblingsort wird. 3 Die Antwort auf die Frage lautet bei BMW iNEXT, mit fast fünf Meter Länge und bis zu 530 PS. Audi steht dem nicht nach und jubelt über den Q4 e-tron concept mit 310 PS und fast 4,70 Meter Länge: „Seine Verkehrsfläche qualifiziert den elektrischen SUV damit zum wendigen Allrounder auch für die Stadt.“ 4 Selbst der im Vergleich dazu fast niedlich „kleine“ ID 3 von VW bringt satte 1,7 Tonnen Leergewicht auf die Waage und wird markig beworben: „Spüren Sie selbst die Mobilität der Zukunft und eine völ­lig neue Art von Fahrspaß, während Sie in die Sitze gedrückt werden.“ 5 Überflüssig zu sagen, dass die weiteren Modelle der ID Familie allesamt noch größer, noch klobiger und noch untauglicher für eine urbane Mobilität der Zukunft sind, zumal innerhalb der Siedlungen.

„Wer als Akteur in Sachen nachhaltige Mobilität ernst genommen werden will, muss sich nachvollziehbar für die Stärkung des Umweltverbunds aus öffentlichen Verkehrsmitteln, Fuß- und Radverkehr einsetzen und zwar zu Lasten des Autoverkehrs. Dazu zählen auch Tempolimits auf Autobahnen und Landstraßen sowie die Verringerung der Regelgeschwindigkeit in geschlossenen Ortschaften. Nicht zu vergessen die Umkehr der Modellentwicklung und eine Abkehr vom immer größer, immer schwerer und immer mehr Leistung, sowie dem Abschied vom Diktat der Mobilitätskonzepte, die ein eigenes Auto voraussetzen.“, ergänzt Christian Hierneis, Vorsitzender des BN in München.

In dieser Hinsicht ist vom VDA für die angekündigte Vorstellung des Konzeptes zur IAA 2021 nichts Bahnbrechendes zu erwarten. Im Gegenteil: Während die Öffentlichkeit darauf wartet, mit welchen schönen Worten sich der VDA übermorgen präsentiert, wird der Wolf im Herbst 2021 in den Messehallen sein wahres Ich zeigen – in Form einer „Leistungsschau der Automotiveindustrie“. 2

Der Satz  „Die IAA 2021 bringt … die innovative Mobilität von morgen schon heute dahin, wo sie gelebt werden wird: Mitten in die Münchner Innenstadt.“ 2 ist daher viel mehr Kampfansage, als rosiges Zukunftsversprechen.

Elektromotor, autonomes Fahren und schickes Design des Innenraums zeigen, worum es dem VDA geht: Der Problemfall Auto wird weiter auf Kosten der Allgemeinheit gepäppelt, alles andere ist nur Kulisse für den großen Auftritt der Autokonzerne. Hier wird der Begriff „Nachhaltige Mobilität“ umdefiniert in Richtung einer autogerechten Stadt 2.0. Nicht nur in München leiden die Menschen täglich unter Hundertausenden privater Autos, die im Berufsverkehr die Fahrspuren verstopfen und in der übrigen Zeit platzfressend herumstehen. Dazu kommen Lärm, die Gefährdung anderer VerkehrsteilnehmerInnen, Straßenschluchten, welche die Städte zerschneiden und die Luftschadstoffe aus den Auspuffen oder aus den Schloten der Kohlekraftwerke für die Stromproduktion.

 


Quellen:
1 Pressemeldung VDA v. 15.6.2020
2 Sitzungsvorlage Nr. 14-20 / V 18418, LH München
3 https://www.bmw.de/de/topics/faszination-bmw/bmw-i-2016/bmw-vision-iNEXT.html https://www.bmwgroup.com/de/innovation/bmw-vision-i-next.html
4 https://www.audi.com/de/experience-audi/mobility-and-trends/e-mobility/geneva-international-motor-show-2019.html
5 https://www.volkswagen.de/de/e-mobilitaet-und-id/id_familie.html)